Sehr geehrte Frau Conze, sehr geehrter Dr. Kühn,

Ich habe die beiden Söring-Veranstaltungen am Wochenende – „NDR Talk Show“ mit Jörg Pilawa und „NDR Kultur à la carte“ mit Martina Kothe mit Interesse verfolgt. Ich werde übrigens diesen Brief auch auf meinem Blog veröffentlichen, weil ich fest am Prinzip der Transparenz glaube.

Das Gespräch mit Martina Kothe lief weitgehend unbedenklich, obwohl ich es kurios fand, dass meine Arbeit erwähnt wurde, meinen Namen aber nicht. Warum? Ich heiße „Andrew Hammel“. Ich weiß, der Vorname ist etwas schwierig, aber die meisten Deutschen sind in der Lage, ihn korrekt auszusprechen. Auch ist mein Name keine Zauberformel. Es werden z.B. keine Horden von Heuschrecken das Studio auffressen, wenn man diese 4 Silben ausspricht.

Das Gespräch mit Jörg Pilawa fand ich marginal besser als die Blamage bei Markus Lanz. Natürlich darf Söring seine Unschuld reklamieren und seine Sichtweise auf seinen Fall schildern. Dass ein verurteilter Eidbrecher, Betrüger, und Mörder dies aber unwidersprochen tun darf, halte ich weiterhin für ein Armutszeugnis für den öffentlich-rechtlichen Journalismus in Deutschland.

Wie ich gefürchtet habe, hat Söring bei der Talkshow in der Tat nicht nur viel Irreführendes erzählt sondern auch eine eklatante Falschaussage in die Welt gesetzt. Söring behauptete nämlich während der „Talk Show“, dass ihm eine Begnadigung verwehrt wurde, weil der Bundesstaat Virginia ihm keine Entschädigung bezahlen wollte. Er lieferte keine Beweise für diese Behauptung.

Sie ist auch nachweisbar falsch. Söring hat das Publikum dreist angelogen.

Der Bundesstaat Virginia ist sehr wohl dazu bereit, unschuldige Gefängnisinsassen Entschädigung zu bezahlen, und hat das seit 2000 20mal gemacht. Die University of Michigan verwaltet eine Datenbank der „Exonerees“ (Menschen, die trotz Unschuld rechtskräftig verurteilt wurden). Laut der Datenbank wurden schon 20 Menschen in Virginia auf der Basis der DNA endgültig entlastet; alle erhielten Entschädigungsgelder. Bei vielen dieser Fälle handelt es sich um Tatort-Spuren, die der Bundesstaat Virginia aus alten Akten vor dem Zeitalter der DNA-Forensik ausgegraben und durch ein unabhängiges Labor analysieren lassen hat. Das geschah im Rahmen der „Post-Conviction DNA Testing Program and Notification Project“, ein Projekt, das fast 13 Jahren dauerte und 6 Million Dollar kostete.

Klingt das nach einem herzenslosen Unrechtsstaat, der Geld auf Kosten der Gerechtigkeit sparen will?

Söring meinte, dass er kein Geld bekam, weil sein Fall ein Politikum war. Ich kann Ihnen versichern, dass jeder dieser Fälle ein Politikum war. Sörings DNA wurde übrigens auch im Rahmen des Projekts analysiert, aber die Ergebnisse waren dürftig und nichtssagend, weil die Proben kontaminiert waren.

Sörings Aussage ist nicht nur irreführend, sondern auch nachweislich falsch. Der Bewährungsausschuss von Virginia hat eine Presseerklärung veröffentlicht, die man hier im Original lesen kann: Darin werden die Gründe für seine Entscheidung ausdrücklich und abschließend genannt. Hier eine deutsche Übersetzung der Erklärung:

Heute hat der Bewährungsausschuss dem Gouverneur eine ablehnende Empfehlung für Jens Soerings Antrag auf eine absolute Begnadigung gegeben. Die jahrelange gründliche Untersuchung für eine echte Suche nach der Wahrheit ergab, dass Jens Soerings Unschuldsbehauptungen unbegründet sind.

Der Bewährungsausschuss hat entschieden, dass die Entlassung von Jens Soering und Elizabeth Haysom aus der Abschiebehaft aufgrund ihrer Jugend zum Zeitpunkt der Straftaten, ihrer institutionellen Anpassung und der Dauer ihrer Inhaftierung angemessen ist.

Beide sind jetzt Mitte 50 und haben über 33 Jahre für die von ihnen begangenen schrecklichen Verbrechen verbüßt. Ihre Freilassung und dauerhafte Ausweisung aus den Vereinigten Staaten ist ein enormer Kostenvorteil für die Steuerzahler des Commonwealth of Virginia, und wir haben festgestellt, dass ihre Freilassung kein Risiko für die öffentliche Sicherheit darstellt.“

Jahrzehntelang haben die Ermittler des Bewährungsausschusses Sörings Unschuldsbehauptungen penibel geprüft. Sie haben die Akten und Prozessprotokolle gelesen, mit den Akteuren in den Fall gesprochen, and waren außerdem stets in Kontakt mit Sörings Anwalt Steven Rosenfield, der zahlreiche vermeintliche Unzulänglichkeiten im Fall reklamierte. Der Bundesstaat Virginia hat sich Mühe gemacht, um sicher zu gehen, dass der Fall Söring kein Justizirrtum war. Der Bewährungsausschuss kam dann zu demselben Schluss, dass jeder, der sich wie ich sehr gut mit der Materie des Falls auskennt: Sörings Unschuldsbehauptungen sind ausnahmslos haltlos. Er ist schuldig.

Ich finde, ein Hinweis auf diese Tatsache unerlässlich für eine ausgewogene Schilderung des Falls wäre. Der Zuschauer bekam den Eindruck, dass der Bewährungsausschuss entweder (1) Söring explizit mitgeteilt hat, dass er lediglich aus Kostengründen keine Begnadigung bekam; oder (2) keine Gründe für die Vorenthaltung einer Begnadigung angegeben hat. Wie Sie sehen, ist das keineswegs der Fall. Sörings Einlassungen sind nur Mutmaßungen wurden aber nicht als solche gekennzeichnet. Das Publikum wurde leider wieder mal von den öffentlich-rechtlichen Sendern in die Irre geführt.

Ich arbeite jetzt an einem anspruchsvollen Projekt über mediale Aufarbeitung des Falls Jens Söring in Deutschland. Ich würde gerne deshalb den NDR um eine Stellungnahme auf die folgenden Fragen bitten:

  1. Warum wurde meine Arbeit bei Kultur a la Carte angesprochen, aber meinen Namen nicht genannt? Es geht nicht um Eitelkeit. Söring nennt mich beim Namen nie in der Öffentlichkeit, weil er auf gar keinen Fall Aufmerksamkeit auf meine journalistische Arbeit über seine Fall lenken will. Das ist verständlich; meine Beiträge haben schon tausende Menschen davon überzeugt, dass Herr Söring die Haysoms persönlich getötet hat, was außer Zweifel steht. Aber warum hat Frau Kothe meinen Namen nicht ausgesprochen? Hat Soering sie darum gebeten, meinen Namen nicht zu erwähnen?
  2. Wussten die Produzenten bzw. Herr Pilawa, dass der Bewährungsausschuss die Gründe für die Entscheidung über Söring sehr wohl öffentlich angegeben hat? Wenn ja, warum wurde es Söring erlaubt, die Gründe falsch darzustellen, ohne Richtigstellung?
  3. Es scheint der Fall zu sein, dass der NDR die Meinungen von verurteilten Schwerverbrecher über das Justizsystem, das sie hinter Gittern gebracht hat, für relevant hielt. Hat der NDR Pläne, einem deutschen Mörder eine Bühne zu geben, um das deutsche Strafrechtssystem aufs schärfste zu kritisieren? Warum nicht? Hat der NDR eigentlich je einen deutschen Mörder auf eine Talkrunde eingeladen?

Vielen Dank im Voraus für Ihre Aufmerksamkeit und ihre Antworten auf meine Fragen.

Mit freundlichen Grüßen

Andrew Hammel

One response to “Mein Dritter Brief an den NDR”

  1. […] course, I plan to contact both Mr. Voigt and NDR — who really (g) should (g) know better by now — to complain about this appearance. Perhaps some readers will be […]

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